Erlebnisse


Nach meiner ersten Begegnung mit einem "Wal" vergingen einige Jahre bis ich mich eingehender mit der Materie beschäftigen konnte. Die Aktivitäten verschiedener Umweltorganisationen - allen voran Greenpeace - hatten Wale in das Blickfeld der breiten Öffentlichkeit gerückt. Dadurch hatte sich auch auf dem Büchermarkt einiges getan. Doch welches Buch ich auch zur Hand nahm, die Zeichnungen der Tiere waren in meinen Augen (mittlerweile als Student der Informativen Illustration) weit von der Realität entfernt. So begann ich mich mehr und mehr mit der Anatomie zu beschäftigen und fertigte Mengen von Zeichnungen und kleinen Modellen an.

Und dann wollte ich endlich einmal echte Wale sehen ...


August 1987, Finnland/Norwegen

Auf einer ausgedehnten Motorradtour kreuz und quer durch Skandinavien sollte eigentlich meine erste Whalewatchingtour stattfinden. Auf den Lofoten wurden damals erste Touren angeboten auf denen es hauptsächlich Pott- und Schwertwale zu sehen geben sollte. Doch dann kam alles anders. Zeitlich und finanziell entwickelten sich gewisse Engpässe und so musste ich den Lofotenabstecher streichen.

Aber der Tipp eines Hamburger Pärchens, die ich auf einem Campingplatz traf, entwickelte sich zu einem Highlight der Reise: Im äussersten Nordosten Norwegens, in einem kleinen Ort mit Namen Grense Jakobselv - direkt an der Russischen Grenze und am Strand der Barentssee gelegen - kann man Belugas beobachten! Da ich sowieso nach Kirkenes wollte um von dort einen Abstecher in das Naturresevat "Oevre Pasvik" zu unternehmen, bot sich ein Besuch in Jakobselv durchaus an. Die Straße schlängelte  sich entlang des kleinen Flusses, der Norwegen und Finnland von der Sowjetunion trennt. Am anderen Ufer ein hoher Metallzaun, dahinter dichter Birkenwald - das "Reich des Bösen" ...

Einsamer als in jenem kleinen Fischerort kann man sich kaum fühlen. Es war kalt, windig und regnete. Ein schmuckloser Ort und keine Menschenseele ist zu sehen. Links kahle Felsen, rechts der Zaun - vor mir der kleine Hafen und die kalte Brandung der Barentssee. Und doch bescherte mir der Besuch ein zufriedenes Gefühl. Kurz vor der Hafeneinfahrt, von den Schaumkronen auf den Wellen kaum zu unterscheiden, sah man weiße Rücken aus dem fast schwarzen Wasser auftauchen und wieder darin verschwinden. Ab und zu erhob sich ein Kopf aus den Fluten und sank wenige Augenblicke später wieder zurück. Und ich stand da, dick eingehüllt in meine Motorradklamotten und starrte hinaus auf's Meer - aufgeregt und zufrieden zugleich.

Dummerweise reichte das Objektiv meiner Kamera nicht aus um die Szenerie einigermaßen ansehnlich auf's Dia zu bannen. Mit Sicherheit wären die weißen Punkte kaum von den Schaumkronen zu unterscheiden. Und der Fischer, der dort im Hafen in seinem kleinen Boot hockte und Netze "sortierte" war nicht zu überreden mich hinaus zu fahren - es sei denn ich würde ihm eine Flasche 'Snapps' spendieren ...  Da ich damit nicht dienen konnte, wendete er sich stumm wieder seiner Arbeit zu. So blieb mir nichts anderes übrig, als die Bilder im Kopf mit nach Hause zu nehmen.


Mai 2001, Azoren 


Endlich ist es soweit, meine erste, echte Whalewatchingreise! Eine Woche Lajes do Pico, "Espaco Talassa". Das "Rundum-Sorglos-Paket": Übernachtung in der stationseigenen Herberge und jeden Tag eine Tour mit dem Schlauchboot auf's Meer. Die ersten zwei Tage verhinderte allerdings das Wetter jede Ausfahrt. Zwar war es sonnig und warm, aber der Seegang so stark, dass auch die erfahrenen Männer in den Ausguckposten keinen Wal entdecken konnten. So konnte ich mir in Ruhe die Gegend ansehen, das Walfängermuseum erforschen und mit dem Team der Espaco-Station fachsimpeln. Serge, Chef und Gründer, war leider nicht auf der Insel - er weilte in Monte Carlo auf einer Tagung.

Am dritten Tag ging es dann endlich auf's Wasser. Die erwarteten Pottwale sahen wir zwar nur aus der Entfernung, dafür befanden wir uns aber plötzlich mitten in einer riesigen Schule Großer Tümmler. Überall um uns herum brodelte das Wasser. Und als wäre alles eine minutiös geplante Aufführung verließen die Tümmler nach einer beeindruckenden Vorstellung die Bühne und es tauchte ein Buckelwal auf - blies ein paar mal und glitt dann unter unserem Boot hindurch in die Tiefe. Das Finale dieser ersten Tour bestritten dann ein paar Gemeine Delfine, die uns zurück zum Hafen begleiteten. So aufregend ging es in den folgenden Tagen weiter. Alles was Rang und Namen hat unter den Meeressäugern traf sich vor Picos Küste zum Stelldichein! Auf fast jeder Tour sahen wir Gemeine Delfine, Große Tümmler, Blauweiße Delfine, Pottwale, Buckelwale, Finnwale und - zur Überraschung aller - Blauwale! Das Auftauchen dieser blauen Riesen war auch für die Guides ein bewegender Moment, denn Blauwale waren jahrzehntelang aus den Gewässern der Azoren verschwunden. Erst im Jahr zuvor wurden wieder einzelne Tiere vor Pico gesichtet.

Ein Erlebnis ist mir besonders in Erinnerung geblieben: An einem Nachmittag, an dem wir bei schönem Wetter den Hafen verlassen hatten, wurden wir von einer Schlechtwetterfront überrascht. In kürzester Zeit verdunkelte sich der Himmel, Wind frischte auf und die Wellen nahmen an Höhe zu. Joao, unser Bootsführer, entschied, so schnell es geht umzukehren. Auf direktem Weg raste also unser kleines Boot in Richtung Hafen, sprang dabei von Wellenkamm zu Wellenkamm. Da tauchte plötzlich neben dem Boot - vielleicht 30 oder 40 Meter entfernt - ein Finnwal auf und begann mit uns um die Wette zu schwimmen! Fast bis zum Hafen von Lajes begleitete er uns. Und dann, ganz so als wolle er uns beweisen wer der stärkere ist, gab er plötzlich Gas und entschwand ...  Alle an Bord waren durchnässt - aber glücklich (trotz Übelkeit, die der hohe Wellengang bei einigen auslöste!).


Oktober 2003, Neuseeland

Manchmal muß man eben auch einfach Glück haben: Da wanderte eine Bekannte nach Neuseeland aus und wo ließ sie sich nieder? In Kaikoura! Dort, wo die Pottwale quasi vor dem Wohnzimmerfenster vorbeischwimmen ... Na denn: Auf nach Neuseeland!

Nach 27 Stunden Flug und 2 Stunden Busfahrt stand ich also am anderen Ende der Welt, in der Hauptstraße von Kaikoura vor dem Cafe, das meine Bekannte dort zusammen mit ihrem Ehemann betieb. Nur 5 Minuten Fußweg sind es von hier zur "Whaleway-Station" - dem umgebauten Bahnhof des Ortes, der jetzt Whalewatch-Kaikoura als Zentrale dient. Der ganze Ort hatte sich im Laufe der Jahre auf den Waltourismus eingestellt. An vielen Hauswänden prangen überdimensionale Malereien mit Walen und Delfinen. Anbieter von Kunsthandwerk, Galerien, Helikopter-Touren, Rundflüge, Tauchtrips und "Schwimmen-mit-Delfinen"-Veranstalter reihen sich aneinander*.

Wie schon auf den Azoren waren auch hier in den ersten Tagen keine Ausfahrten möglich - das Wetter war zu schlecht. Also konnte ich mich erstmal im Ort akklimatisieren. Da ich vorhatte im Laufe der kommendn drei Wochen mehrere Touren bei Whalewatch-Kaikoura zu buchen, konnte ich sogar einen Sondertarif aushandeln. Da freute sich der Geldbeutel. Aber die Touren verliefen recht unspektakulär. Spannend ist natürlich immer die Suche nach Walen. Doch dann ergab sich immer der selbe Ablauf: Ein Wal wurde gefunden (es war leider immer nur ein einzelner Pottwal), er trie eine ganze Weile an der Oberfläche, dann hob er die Fluke und tauchte. Danach kreuzte das Boot noch eine Weile, hier und da sah man noch einen Dusky Dolfin oder einen Seelöwen und dann ging es auch schon zurück zum Hafen...

Wesentlich beeindruckender waren da die Touren von Dolphin Encounter. Schwimmen mit Delfinen! Ausgerüstet mit Neoprenanzug, Flossen, Schnorchel und Maske ging es im Boot mit 8 bis 10 Mutigen hinaus, auf der Suche nach Schulen von Dusky Dolphins. Doch die erste Tour blieb leider erfolglos. Zwar war es für die Beteiligten sehr sportlich - 5 Mal hies es ab ins kalte Pazifikwasser, schwimmen, tauchen, warten und dann zurück an Bord wuchten - aber immer wenn wir den Schock der Kälte überwunden hatten, waren die Tiere dezent entschwunden. Also durften wir ein paar Tage später eine Ersatztour mitmachen. Und diesmal hatten wir mehr Glück: Eine große Schule befand sich in der Nähe des Bootes und ließ uns gewähren. Zwar nahmen sie keinen direkten Kontakt zu uns merkwürdigen, im Wasser zappelnden Kreaturen auf, aber immerhin konnten wir fast eine Stunde lang unter ihnen verbringen. Leider war das Wasser sehr trübe, aber es waren so viele Tiere, dass sich immer ein paar von ihnen in Sichtweite befanden. Und auch wenn einmal keiner zu sehen ist, so spürt man doch die Anwesenheit ...

Und dann gibt es immer noch diese kleinen Begegnungen, die ohne Vorbereitung stattfinden und ohne Organisation. Und die völlig umsonst sind. So zum Beispiel an einem sonnigen Nachmittag am Strand von Kaikoura. Weit und breit kein Mensch zu sehen. Das Leben - auch das touristische - spielt sich oben auf der Hauptstraße ab. Das Meer war ruhig und die Sonnenstrahlen glitzerten auf der Oberfläche. Da bemerkte ich plötzlich eine Bewegung im flachen Wasser. Doch als ich genau hinsah, war es auch schon wieder vorbei. Ich wartete und suchte. Und plötzlich war es wieder da. Eine kleine schwarze, runde Rückenflosse (die aussieht wie ein Ohr von Micky-Maus) tauchte kurz auf und verschwand gleich wieder. Scheinbar endlose Minuten vergingen so. Ich alleine am Strand und der kleine Kerl (oder vielleicht ja eine Sie) dort im flachen Wasser. Wunderschön!


Juli 2010, Dänemark

In diesem Sommer hatte wir uns mit der ganzen Familie ein Haus in der Nähe von Hvide Sande gemietet. Wie jeden Morgen war ich früh mit dem Hund in den Dünen unterwegs. Von dort hatte man einen herrlichen Überblick über den schier endlosen Strand. Bevor wir den Rückweg zum Haus antraten setze ich mich in den Sand in genoss die Aussicht. Die Nordsee war glatt und schwappte träge wie flüssiges Blei an den Strand. Nur deswegen erkannte ich die Bewegungen im Wasser - nur wenige Meter vom Strand entfernt. Da tummelten sich mehrere Schweinswale in den flachen Fluten. Scheinbar waren sie auf der Jagd - so deutete ich jedenfalls ihre Bewegungen. Zehn oder fünfzehn Minuten dauerte die Vorstellung, dann war alles vorbei ...


Doch das Ganze hatte ein Nachspiel - wenn auch ein trauriges. Gegen Abend hatte der Wind aufgefrischt und über Nacht war es stürmisch geworden. Am folgenden Morgen war ich wieder mit dem Hund unterwegs. Am Strand hatten Wind und Wellen einige interessante Sachen angetrieben. Doch neben all den übliche Dingen wie Kisten, Balken, Kanistern, Schuhen, Seilen etc., hatte etwas anderes unsere Aufmerksamkeit geweckt: Am Spülsaum lag ein toter Schweinswal! Oder das was davon übrig war. Der Kadaver war zwar in seiner ganzen Länge erhalten, jedoch waren große Teile des"Fleisches" nicht mehr vorhanden und auch die Eingeweide waren nicht mehr vollständig. Ebenso fehlten Fluke und Brustflossen (die beiden Bustflossen fand ich später einige Meter entfernt). Allerdings war aber der Kopf soweit komplett, das die Identifizierung leicht fiel. Was den kleinen Kerl wohl so zugerichtet hatte? Wahrscheinlich hatten sich schon früh am Morgen die Möwen darüber her gemacht ...